Musik

Konzertnervbirnen #4: Die Smartphone-Süchtigen

Als Konzertjunkies verbringen wir unsere Abende am liebsten in der Gesellschaft Gleichgesinnter vor einer Bühne. Aber wir wollen euch in unserem Heft auch nicht nur in Euphorie und Watte kuscheln. Deshalb gehen wir mit dieser Kolumne dahin, wo es wehtut – und stellen uns direkt neben die schlimmen Menschen, die einem auch das beste Konzert versauen können.

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In der vierten Folge nimmt sich Christina Wenig die Smartphone-Süchtigen vor, die ihre Finger einfach nicht vom Display lassen können.

Manchmal stellt einen das Leben vor schwierige Entscheidungen – so schwierig, man möchte sie gar als unmenschlich bezeichnen. Zum Beispiel: Konzert oder Smartphone. Puh. Ich gebe zu, auch ich bin ein Smartphone-Addict. Aber wenn ich zu einer Show gehe, dann weil ich die wirklich sehen will. Sprich: Ich schaue auf die Bühne. Ungelogen. 30, 40 Minuten lang, manchmal sogar länger. Muss man sich mal vorstellen. Beziehungsweise würde ich gerne auf die Bühne schauen, würden vor mir nicht sieben Leute mit marathonhafter Ausdauer ihre Handys in die Höhe halten, um zu filmen oder zu fotografieren und mir so die Sicht versperren. Klar, ich könnte die Show auch über den fünf Zoll großen Bildschirm meines Vordermanns verfolgen, aber dafür hatte ich mir eigentlich kein Ticket gekauft. Nicht umsonst verhängen mittlerweile viele Künstler Smartphone-Verbote während ihrer Auftritte. Die Dinger lenken einfach ab, und zwar alle Beteiligten. Also warum der Mist? Klar, ein zwei Fotos mache auch ich, aber nach einer Minute ist das erledigt. Wozu braucht man mehr?

Theorie A: Die betreffende Person ist so ein großer Fan von Band XY oder geht so selten auf Konzerte, dass sie jeden, aber auch wirklich jeden Moment dieses außergewöhnlichen Abends für ihr eigenes Archiv dokumentieren möchte. Genießen kann man das Event so zwar nicht (man ist ja zu konzentriert darauf, das Smartphone stoisch auf die Bühne zu richten), aber hey: Immerhin hat man dann eine halbe Mediathek voll von verwackelt-rauschigem Bild- und Videomaterial, auf dem weder optisch noch klanglich erkennbar ist, wer da auf der Bühne steht. Toll. Ganz nebenbei: Gibt es wirklich Menschen, die sich solche Live-Aufnahmen hinterher nochmal anschauen? Ich kenne keine.

Theorie B: Social Media. Denn wenn es auf Instagram keine Beweisfotos gibt, ist es dann überhaupt passiert? Diese Art von Smartphone-Suchtis geht meiner Meinung nach eigentlich nur auf Shows, um zeigen zu können, dass man da war. Also am besten gleich das Ganze live auf allen verfügbaren sozialen Netzwerke streamen, damit die eigenen 30 Follower neidisch in Echtzeit und miserabler Bild- und Tonqualität bestaunen können, was sie gerade Geiles verpassen. Und da die Followerschaft natürlich nur das Beste vom Besten zu sehen bekommen soll, muss man sich unbedingt in die erste Reihe drängen, um aufdringliche Nah-Aufnahmen aus fünf verschiedenen Perspektiven zu machen – die Bildunterschrift lautet dann gerne „Wahnsinns-Show!“ oder „Super spaßiger Abend!“. Kleiner Tipp: Lasst das Smartphone doch mal stecken, dann könnte es das wirklich sein.

Alle bislang veröffentlichten Ausgaben unserer Reihe „Konzertnervbirnen“, die garantiert jede*r kennt, findet ihr hier.

Text: Christina Wenig
Illustration: Alexandra Ruppert