Musik

Konzertnervbirnen #9: Der Huster

Wir lieben Konzerte und verbringen unsere Abende gerne in der Gesellschaft Gleichgesinnter vor einer Bühne. Aber wir wollen euch in unserem Heft auch nicht nur in Euphorie und Watte kuscheln. Deshalb gehen wir mit dieser Kolumne dahin, wo es wehtut – und stellen uns direkt neben die schlimmen Menschen, die einem auch das beste Konzert versauen können.

Applause Magazin lesen

In der neunten Folge nimmt sich Musikjournalist und Klassik-Experte Eberhard Spohd den Huster vor – der mitnichten in jedem Fall Mitleid oder ein Hustenbonbon verdient hat.

Der Pianist hat die Geschwindigkeit zum Finale des ersten Satzes noch einmal und wider jede traditionelle Aufführungspraxis gesteigert und die Schlusskadenz wuchtig und fortissimo aus dem Bösendorfer fliegen lassen. Jetzt, im kurzen Innehalten vor dem ruhigen zweiten Akt, sitzt er konzentriert vor seinem Instrument, geht in Gedanken das Klangbild des Kommenden durch. Er hebt die Hand, um sie sanft zum ersten Akkord auf die Tasten sinken zu lassen. Das ist das Signal zum Einsatz für die Nervbirne: Der Huster bekommt seinen Auftritt.

Egal ob röchelnder Reibungsatmer, doppelte Kratzkrächzer, gesteigertes Räuspern, Explosionsröhrer mit leichtem Grollen: So unterschiedlich die Geräuscherzeugung der unzähligen Varianten sein mag, sie eint die Kürze des Ausbruchs und der entscheidende Augenblick an den ruhigen Stellen. Als wolle jemand ganz bewusst die Anwesenden um ihre Konzentration, um ihren Genuss bringen.

Das Phänomen tritt bevorzugt, aber keinesfalls nur bei klassischen Konzerten auf. Bei dröhnendem Rock und ähnlich lauten Konzerten bekommt man es nur einfach nicht mit. Aber es gibt isländische Pop-Künstlerinnen, die seltsame, berührende und vor allem sehr leise Musik spielen, oder Sänger, die wispernd seufzen können, oder Jazz-Saxofonistinnen, die ausgiebig die dynamische Variationsbreite des Instruments nutzen. Auch da kann man sicher sein: Wenn es ganz ruhig wird, knarzt jemand dazwischen. Ganz ohne physiologische Ursache und medizinischen Grund.


Als Mann glaube ich natürlich nicht ans Psychosoma. Aber wenn dann Rocker, die keine leisen Stellen aushalten, ADHS-Hörer, die akustischen Instrumenten nicht zuhören können, Leute, die kein Englisch verstehen, auf einmal husten, was das Zeug hält, werde ich eines Besseren belehrt: Die leiden an diesen unbewussten inneren Konflikten und reagieren darauf mit einer körperlichen Reaktion. Die finden das, was da auf der Bühne passiert, scheiße, verstehen es einfach nicht und haben deshalb Komplexe. Und schaffen es, Dutzenden von Menschen das Konzerterlebnis zu verleiden. Deshalb: Bleibt einfach Zuhause, ihr elenden Sputumschleudern!

Alles Arschlöcher, außer Mutti: Mit der saß ich in der Oper, sie knurrte alles zusammen, knisperte ein Bonbon nach dem anderen aus der Verpackung und röhrte derart, dass ich sie in der Pause öffentlich angeherrscht habe. Was mir hinterher enorm leid tat und bis heute peinlich ist: Sie litt tatsächlich monatelang unter ihrem damals ausbrechenden Keuchhusten.

Alle Folgen der Kolumne „Konzertnervbirnen“ findet ihr hier.

Text: Eberhard Spohd
Illustration: Alexandra Ruppert